Quantcast
Channel: LawyersLife » Werbung
Viewing all articles
Browse latest Browse all 8

CreutzColumne: Sex sells nicht immer: Gericht moniert aggressive Anwaltswerbung

$
0
0

Die Unabhängigkeit, Würde und Integrität der Anwaltschaft ist ein hohes Gut. Um es zu erhalten, verlangt das anwaltliche Berufsrecht von seinen Mitgliedern u.a., nur sachlich zu werben. Doch bei einem Anwalt aus dem Rheinland ist das gehörig in die Hose gegangen.

Er veröffentlichte im Herbst 2015 mehrere Anzeigen. Alle sind mit jeweils einem großen Foto mit einem als Blickfang gestalteten Text versehen. Anzeige Nr. 1 enthält die Sprechblasen „Diskriminierung am Arbeitsplatz?” und „Kündigungsschutz?”. Zu sehen ist das rechte Bein einer mit High Heels und knielangem Rock bekleideten Frau, die auf einem Schreibtisch steht, und einem an diesem Schreibtisch sitzenden Mann mit ihren hochhackigen Schuhen auf die Krawatte tritt. Anzeige Nr.2 enthält die Headline „Gehen Sie nicht zu irgendeinem Anwalt, sondern zum Fachanwalt! Kommen Sie rechtzeitig zu mir!”. Zu sehen sind zwei nackte Füße einer unter einer weißen Decke liegenden Leiche, mit einem an einem großen Zeh baumelnden Namensanhänger und der Aufschrift: „War nicht rechtzeitig beim Anwalt”. Anzeige Nr. 3 enthält den Spruch: „Deutschland braucht die Zuwanderung junger Fachkräfte. Helfen wir…gemeinsam” auf dem Bild eines vielleicht zehnjährigen dunkelhaarigen und dunkeläugigen Mädchens am Rande von Bahnschienen vor dem Hintergrund mehrerer Flüchtlingsgruppen.

Der Anwaltsgerichtshof von Nordrhein-Westfalen entschied: Alle drei Motive verstoßen gegen die Werbevorschriften im anwaltlichen Berufsrecht.  Die Richter betonten zugleich, dass das in § 43b BRAO, § 6 Abs. 1 BORA ausgeformte berufsrechtliche Sachlichkeitsgebot anwaltlicher Werbung trotz der damit verbundenen Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), unter Umständen auch der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Es sei in ähnlicher Form in der EU-Dienstleistungsrichtlinie angesprochen, indem dort den Mitgliedstaaten aufgegeben werde, „die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstandes” im Rahmen kommerzieller Kommunikation zu gewährleisten. Dass die Rechtsanwaltschaft unter der Geltung des Sachlichkeitsgebots nicht sämtliche Werbemethoden verwenden darf, die im Bereich der werbenden allgemeinen Wirtschaft (noch) hinzunehmen wären, entspricht laut Richterspruch dem Willen des Gesetzgebers.  „Mit der Stellung eines Rechtsanwalts ist im Interesse des rechtsuchenden Bürgers eine Werbung nicht vereinbar, die ein reklamehaftes Anpreisen in den Vordergrund stellt und mit der eigentlichen Leistung des Anwalts sowie dem unabdingbaren Vertrauensverhältnis im Rahmen eines Mandats nichts mehr zu tun hat. Verboten werden können danach unter anderem Werbemethoden, die Ausdruck eines rein geschäftsmäßigen, ausschließlich am Gewinn orientierten Verhaltens sind“, stellen die Anwaltsrichter klar.

Es sei einem Rechtsanwalt zwar nicht verwehrt, für seine Werbung Bilder oder Fotografien zu verwenden, Gegenstände wie etwa Tassen als Werbeträger einzusetzen oder auch Ironie und Sprachwitz als Stilmittel zu gebrauchen. Die Grenzen zulässiger Werbung sind laut Anwaltsgerichtshof NRW jedoch überschritten, „wenn die Werbung darauf abzielt, gerade durch ihre reißerische oder sexualisierende Ausgestaltung die Aufmerksamkeit des Betrachters zu erregen, mit der Folge, dass ein etwa vorhandener Informationswert in den Hintergrund gerückt wird oder gar nicht mehr erkennbar ist. Derartige Werbemethoden sind geeignet, die Rechtsanwaltschaft als seriöse Sachwalterin der Interessen Rechtsuchender zu beschädigen.“

Auf den konkreten Fall übertragen bedeutet das: Die Anzeige Nr. 1 („Diskriminierung am Arbeitsplatz?”) ist laut Richterspruch ersichtlich auf „Blickfang” aus. Dargestellt wird die nicht alltägliche Situation, dass eine Frau einem jungen Mann auf dem Schreibtisch auf die Krawatte tritt und ihm dadurch seine Bewegungsfreiheit nimmt. „Diese ohnehin schon unrealistische Szene wird dadurch besonders hervorgehoben, dass von der Frau nur die nackten Unterschenkel und der extrem vorgewölbte Fuß, der mit hochhackigen Pumps bekleidet ist, zu sehen sind. Eine sachliche Illustration einer typischen Szene im Zusammenhang mit Kündigungsschutz oder Diskriminierung am Arbeitsplatz ist in dem Foto nicht zu sehen“, konstatieren die Richter. Die Anzeige suggeriere im Gegenteil, es seien in erster Linie Männer, die von Diskriminierung am Arbeitsplatz, Kündigung und körperlicher Gewalt bedroht seien. Die Darstellung sei reißerisch und ohne jeden Informationsgehalt, ohne dass dafür auch nur der geringste Anlass gegeben wäre. „Solche Werbung ist geeignet, bei der rechtsuchenden Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, die Rechtsanwaltschaft habe Derartiges nötig, um Mandate zu erlangen, und damit das Ansehen der Rechtsanwaltschaft insgesamt zu beeinträchtigen.“ Das Gericht lehnt es angesichts des Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot ab, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Anzeige vielleicht ironisch gemeint sein könnte.

Auch die Werbung mit dem an den nackten Füßen eines Toten baumelnden Etikett in der Anzeige Nr. 2 ist laut Gerichtsbeschluss unsachlich, weil sie keinerlei Informationsgehalt hat und lediglich als reißerisch bewertet werden kann. Ein angemessener Zusammenhang zwischen der Abbildung in der Anzeige und der Werbung um Mandate und Mandanten ist für das Gericht nicht erkennbar. Auch die Anzeige Nr. 3 („Deutschland benötigt Zuwanderung”) hält das Gericht für rechtswidrig. Das in der Anzeige abgebildete Flüchtlingskind habe mit den vom Antragsteller angebotenen Rechtsdienstleistungen nicht das Geringste zu  tun. Dieser arbeitet nicht etwa im Ausländer- oder Asylrecht, sondern als Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht. Die Zusage des Anwalts in der Anzeige, 10 Prozent des von Rechtsschutzversicherungen gezahlten Honorars an eine Hilfsorganisation für jugendliche Flüchtlinge zu spenden, diene allenfalls nebenher der Absicht, Flüchtlingen zu helfen. In erster Linie, sind die Richter überzeugt, sollen potentielle Mandanten, die grundsätzlich Flüchtlingen gegenüber positiv eingestellt sind und private Initiative zugunsten von Flüchtlingen gut finden, angelockt werden. „Ginge es dem Antragsteller um die Unterstützung der Flüchtlingsarbeit, würde er dafür spenden. Dann wäre auch nichts dagegen einzuwenden, wenn er dies öffentlich bekanntmachen würde, um andere – Mandanten oder Nichtmandanten – zu motivieren, ihm nachzueifern“, wettert das Gericht. Es gehe dem Anwalt ausschließlich darum, in den Augen dieser potentiellen Mandanten „gut dazu-stehen”, also die (in deren Augen) richtigen politischen und gesellschaftlichen Einstellungen zu haben. Das sei aber keine berufsbezogene Tatsache und damit eine unzulässige unsachliche Werbung.

Fazit: Wer ist nicht angewidert, wenn Schönheitschirurgen aggressiv für medizinisch nicht indizierte Operationen und deren Finanzierung werben oder Augenärzte in Radiospots Laserbehandlungen anpreisen, ohne auf eine Vielzahl von Risiken und Nebenwirkungen aufmerksam zu machen. Bei der Anwaltswerbung ist es ähnlich: Mandanten legen Anwälten in oft existenziell schwierigen Lebenssituationen ihr Schicksal in die Hand. Dieses Vertrauen verdient aber nicht, wer als Anwalt nach dem Motto „Sex sells“ verfährt oder über Schockfotos von Leichen mit den Gefühlen künftiger Mandanten spielt.

Quelle: Anwaltsgerichtshof NRW, 2 AGH 1/16, Beschluss vom 3.6.2016

Rechtsanwalt Marcus Creutz arbeitet seit über einem Jahrzehnt als freier Journalist mit Schwerpunkt „Rechtspolitik, Wirtschaftsrecht und Anwaltsmarkt“ für regionale und überregionale (Fach-)Medien.

Dazu passend: LUST mit Recht von Philipp Heinisch www.kunstundjustiz.de

LUST mit Recht


Viewing all articles
Browse latest Browse all 8

Latest Images





Latest Images